DIE LINKE.

Michael Leutert, MdB (DIE LINKE.)


05.12.2005

Ein neuer Job in einer Parallelwelt

Der Stress der ersten Wochen - junge Bundestagsabgeordnete im Parlamentsalltag

Barbara Lich, Anne Haeming, Das Parlament 49/2005 (05.12.2005)
Die wenigen fest installierten Fernsehkameras sind der einzige ruhende Pol im gro�en Durcheinander. Parlamentarier und Presseleute tummeln sich um die Mikrofone. Ein Statement folgt dem n�chsten, Stifte und Bl�cke werden gez�ckt, Stichworte notiert, Journalisten schieben im Gedr�nge gegeneinander, Fotografen versuchen einen guten Schuss zu bekommen. Im Bundestag stehen die Wahlen auf Fraktionsebene an, die Konstituierung der Aussch�sse und vor allem - es ist der Tag der ersten Regierungserkl�rung der neuen Kanzlerin.

Auch wenn es hektisch zugeht: Jeder hat seine Aufgabe, wei�, wann er wohin muss, wei�, wann er wie wo etwas sagen soll. Auch Kunstpausen geh�ren dazu. F�r die Routiniers. Unter den Parlamentariern gibt es aber auch Nachwuchspolitiker, die erst einmal die "Codes" lernen m�ssen und auch mit unerwarteten Widrigkeiten konfrontiert sind. "Es war ganz sch�n viel Stress in den letzten Wochen", erz�hlt Michael Leutert am Rande des Jugend-Medienworkshops im Deutschen Bundestag. Der Abgeordnete von der Linkspartei pendelte dauernd zwischen seinem Dresdner B�ro und Berlin. "Bis zum 21. November, als ich endlich mein Abgeordnetenb�ro bekommen habe, bin ich morgens mit der Reisetasche auf die Toilette, um mich umzuziehen." Dass es so lange dauern w�rde, bis er richtig loslegen kann, hat er nicht erwartet. "Ich habe Vereine gegr�ndet und wieder aufgel�st, habe an der Uni gearbeitet und war bei der Bundeswehr - ich dachte, ich wei�, was B�rokratie ist."

Zu allem �berfluss stellte der 31-j�hrige Bundestagsneuling die Verwaltungen vor eine weitere Herausforderung: Er gr�ndete kurzerhand eine B�rogemeinschaft mit seiner Fraktionskollegin Katja Kipping (27). "Wir hatten schon ein paar Schwierigkeiten, das durchzusetzen, vor allem weil wir zu verschiedenen Arbeitskreisen geh�ren, sie zum sozialpolitischen, ich bin im Menschenrechtsausschuss."

Michael Leutert arbeitet seit 1998 f�r die Partei, die Realit�t eines Berufspolitikers ist f�r ihn nichts Neues. Angst, wegen seines neuen Jobs in eine Parallelwelt zu geraten, hat er nicht. "Ich habe nach wie vor mein WG-Leben in Dresden. Da sind genug Leute, die einem auch mal sagen: Du bist bl�d."

Die regelm��ige R�ckkehr in den Wahlkreis findet auch Peter Friedrich, Jungabgeordneter der SPD aus Konstanz, wichtig, um die Bodenhaftung nicht zu verlieren. "Ich bin f�r f�nf bis sechs Tage hier, dann fahre ich in meinen Wahlkreis, meine Heimat - dort ist meine Realit�t. Dort gibt es keine unterirdischen G�nge, keine Fahrbereitschaft, ich fahre mit dem Bus und dem Rad zur Arbeit." Dennoch - sein Leben ist anders als vor der Wahl. Im Wahlkampf habe er gearbeitet "wie ein Brunnenputzer".

F�r Anton Hofreiter von den Gr�nen ist die B�rokratie keine so gro�e H�rde. Eine "gewisse Anzahl von Formularen" m�sse man zwar ausf�llen - aber bei Problemen gebe es von der Verwaltung schnelle Hilfe. Auch das Arbeitspensum sieht er gelassen: "Das wusste man ja vorher", sagt der 35-J�hrige, und zuckt mit den Schultern, "und die Bezahlung ist ja auch nicht wirklich schlecht." Das muss bayerische Gem�tlichkeit sein. �berraschungsmomente gab es f�r Hof-reiter aber trotzdem: die Stimmung bei der konstituierenden Bundestagssitzung zum Beispiel. "Aufstehen und ‚Guten Morgen, Herr Pr�sident' sagen, das hat etwas von Schule - und einen nicht ganz ernsthaften Touch", erz�hlt Hofreiter und lacht.

Ansonsten war vor allem eines neu f�r ihn: sich in der Situation des Arbeitgebers wiederzufinden. Wie f�hrt man Vorstellungsgespr�che, nach welchen Kriterien stellt man Mitarbeiter ein? "Daf�r bin ich ja nicht ausgebildet", sagt Hofreiter, der Biologe. Jetzt ist er f�r Verkehr, Bauen und Wohnen zust�ndig.

Auch die FDP-Abgeordnete Miriam Gru� hat eine ihrer Priorit�ten auf die Einstellung der Mitarbeiter gelegt: "Ich wollte Leute, die selbst noch am Anfang stehen." Das ist gelungen: Ihr B�ro ist jung, die Mitarbeiter sind alle Mitte bis Ende 20. Stressig findet Miriam Gru� manchmal die Koordinierung von Terminen: "Sobald eine Sitzung l�nger dauert, hat man Schwierigkeiten, rechtzeitig zur n�chsten zu gelangen." Hinzu kommt, dass Miriam Gru� auch eine Doppelrolle zu erf�llen hat: Die 29-J�hrige ist nicht nur Abgeordnete und Mitglied im Ausschuss f�r Familie, Senioren, Frauen und Jugend, sondern auch Mutter. Im heimischen Augsburg wartet ihr kleiner Sohn. Seit sie in Berlin ist, bleibt ihr Mann zu Hause und k�mmert sich um das Kind. Trotzdem muss sie zwischen manchen Sitzungen auch mal schnell per Handy durchgeben, "wo die Fieberz�pfchen sind". Viel Zeit zum Eingew�hnen gab es in Berlin �brigens nicht: "Man ist schon die Maus im Laufrad. Es ging einfach sofort los."

An diese ersten Tage kann sich auch Julia Kl�ckner von der CDU noch sehr gut erinnern. Die 32-J�hrige sitzt schon seit 2002 im Parlament, dieses Jahr hat sie ein Direktmandat in ihrer Pf�lzer Heimat geholt. "Beim ersten Mal war ich von Vielem noch beeindruckt, was ich heute entspannter sehe", sagt sie.

Es ist Mittwochmittag, gerade ist der erste H�hepunkt der neuen Legislaturperiode zu Ende gegangen: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre erste Regierungserkl�rung abgegeben - Hochzeit f�r Fernseh-Interviews. Es ist wie nach den Fraktionssitzungen, nur voller. Auch Kl�ckner steht inmitten einer Meute von Journalisten und Parlamentariern. Ihr Verh�ltnis zu den Medien ist gepr�gt von ihren eigenen Berufserfahrungen: Sie hat selbst jahrelang als Journalistin gearbeitet, die ehemalige deutsche Weink�nigin war unter anderem Chefredakteurin des Sommelier Magazins. "Wenn heute ein Fernsehteam anfragt und einen Dreimin�ter machen will, dann wei� ich, dass mein Vormittag futsch ist."

Der Umgang der jungen Politiker mit den Medien ist gepr�gt vom Bewusstsein, dass es ein Spiel ist, bei dem der eine den anderen braucht. Auch wenn es zu Lasten der Information geht. "Viel wird verk�rzt, zugespitzt", sagt Kl�ckner und f�gt hinzu: "Klar, ich polarisiere auch, wenn es sein muss. Die Medien wollen mit mir arbeiten, dann arbeite ich auch mit ihnen."

Der Gr�ne Anton Hofreiter sieht das kritischer. "Ich habe das Gef�hl, bestimmte Themen gewinnen in der Presse eine Eigendynamik. Da gibt es seitens der Medien manchmal gar keine Kontrolle mehr." Es st�rt ihn, wenn Journalisten nicht einfach nur berichten, sondern versuchen, Politik zu machen. "Da fehlt die Legitimation", meint Hofreiter. "Politiker sind immerhin vom Volk gew�hlt."

Dass die Medien mittlerweile immens wichtig sind, findet auch der SPD-Abgeordnete Peter Friedrich. Die Folge: "Es gibt keine Diskussionen mehr im politischen Raum, Ideen k�nnen sich nicht mehr entwickeln, dazu gibt es keine Zeit." Aber Demokratie, so Friedrich, das bedeute auch, dass das Volk und die Volksvertreter diskutierten. Manchmal fragt er sich sogar, ob der Begriff Demokratie noch zutreffend sei. "Wenn die Medien den politischen Diskurs ersetzen, dann haben wir eine Mediokratie."

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